193/365 Gladiole

Moin zusammen!

Es muss so im Sommer des Jahres 1978 gewesen sein, als meine Mutter mit mir und einem Jungen aus der Nachbarschaft zum Baden an den Einfelder See gefahren ist. Im Sand versteckt lag eine zerbrochen Flasche und mein Freund trat mit dem bloßen Fuß in den Flaschenboden. Eine üble Schnittwunde war die Folge. Ganz klar, das war etwas für das Krankenhaus, da musste ein Chirurg mit Nadel und Faden ran. Also wurde der Fuß großzügig in die mitgebrachten Handtücher eingewickelt, der Verunfallte hinkte mit der Unterstützung von meiner Mutter und mir zum orangefarbenen Golf I, nahm auf der grünen Kunstleder-Rücksitzbank Platz und wir drei fuhren in die Notaufnahme des Friedrich-Ebert-Krankenhauses. Dort wurde die Wunde versorgt, anschließend ging’s nach Hause. Kein Rettungsdienst, kein Blaulicht, nur ein wenig gesunder Menschenverstand mit einer Prise Pragmatismus.

40 Jahre später – die Menscheit ist permanent online, alle sind sozial vernetzt, die Antwort auf eine jede Frage, die das Leben stellt, ist nur einen Klick entfernt – fährt ein Rettungswagen mit Sonderrechten in ein kleines Dorf zwischen Neumünster und Plön zu einem Menschen im Alter meiner Mutter. Wegen Nasenbluten. Vor Ort völlige Hilflosigkeit, gepaart mit dem Wunsch am liebsten in eine weit entfernte Uniklinik transportiert zu werden. Immerhin ein kaltes Tuch im Nacken, aber die Nasenflügel noch nie zusammengepresst. Der Nachbar arbeitet im Garten, schaut uns interessiert hinterher, während wir zum Rettungswagen gehen, um ins FEK zu fahren. Auf dem Weg kommt die obligatorische Frage nach der Rückfahrt. Mein Hinweis auf elfenbeinfarbene Miet-PKW mit kleinen gelben Schilder auf dem Dach, die Taxi genannt werden, wird mit einer atemberaubenden Selbstverständlichkeit erwidert: „Aber dafür bekomme ich dann aber einen von diesen Taxi-Scheinen!“ Kann mir bitte mal jemand sagen, was in den letzten 40 Jahren in unserer Gesellschaft so schiefgelaufen ist?

Ich hätte da ein paar eigene Ideen, mache aber an dieser Stelle Schluß, weil ich sonst ausfallend werden würde.

Munter bleiben!